Anrechnung hypothetisches Einkommen bei der Scheidung
Meine Ehefrau und ich sind seit 2004 verheiratet und haben zwei gemeinsame Kinder im Alter von 13 und 16 Jahren. Ich möchte mich von meiner Ehefrau scheiden lassen. Die Kinder sollen bei ihr bleiben. Meine Ehefrau ist nicht bereit arbeiten zu gehen. Sie ist der Meinung, dass sie im recht sei und ich für sie und die Kinder zahlen müsse. Stimmt das und wie habe ich vorzugehen?
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung gilt betreffend Aufnahme einer Erwerbsarbeit das sog. Schulstufenmodell, welches 2018 die «10/16 Regel» ablöste. Das Schulstufenmodell besagt, dass der hauptbetreuende Elternteil ab dem Eintritt des jüngsten Kindes in den obligatorischen Schulunterricht einem 50%igen, mit dessen Übertritt in die Oberstufe einem 80%igen und ab dem vollendeten 16. Altersjahr dieses jüngsten Kindes einem 100%igen Arbeitspensum nachzugehen hat. Von diesem Grundsatz kann das Gericht bei zureichenden Gründen im Einzelfall abweichen. Sofern keine Gründe für eine Abweichung sprechen, ist ihre Ehefrau vorliegend verpflichtet einem 80%igen Pensum nachzugehen. Tut sie dies nicht, kann ihr ein hypothetisches Einkommen angerechnet werden, sofern dieses zu erreichen zumutbar und möglich ist. Wenn es um Unterhalt für unmündige Kinder geht, sind nämlich besonders hohe Anforderungen an die Ausnützung der eigenen Erwerbskraft zu stellen. Um die Höhe des Einkommens zu ermitteln, kann das Gericht die Lohnstrukturerhebungen des Bundesamtes für Statistik heranziehen. Ausgehend davon darf es im Sinn einer tatsächlichen Vermutung darauf schliessen, dass der betreffende Lohn im Einzelfall tatsächlich erzielbar ist.
Für den nachehelichen Unterhalt gilt das Primat der Eigenversorgung und damit eine Obliegenheit zur (Wieder-) Eingliederung in den Erwerbsprozess bzw. zur Ausdehnung einer bestehenden Tätigkeit. Nacheheliche Unterhaltsbeiträge sind nur geschuldet, soweit der eheliche Lebensstandard bei zumutbarer Anstrengung nicht oder nicht vollständig durch Eigenleistung selbst gedeckt werden kann.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ihre Ehefrau grundsätzlich 80% arbeiten muss bzw. ihr ein hypothetisches Einkommen anzurechnen ist, wenn sie sich weigert, arbeiten zu gehen. Sie müssen demnach nur für ihre Ehefrau zahlen, wenn sie den ehelichen Lebensstandard nicht selbst decken kann. Als nicht betreuender Elternteil haben Sie grundsätzlich auch für den Unterhalt der Kinder aufzukommen. Für die Berechnung der nachehelichen Unterhaltsbeiträge und der Unterhaltsbeiträge für die Kinder können Sie sich an eine Fachperson wenden.
Sofern Ihre Ehefrau mit der Scheidung einverstanden ist, können Sie gemeinsam beim zuständigen Gericht die Scheidung verlangen und eine vollständige Vereinbarung mit den nötigen Belegen und mit gemeinsamen Anträgen hinsichtlich der Kinder einreichen. Sollten Sie sich nicht über alle Scheidungsfolgen einigen können, können Sie trotzdem gemeinsam die Scheidung verlangen und erklären, dass das Gericht die strittigen Scheidungsfolgen beurteilen soll. Wenn ihre Ehefrau jedoch mit der Scheidung nicht einverstanden ist, müssen Sie zuerst zwei Jahre getrennt gelebt haben, bevor Sie die Scheidung einreichen können.
Kurzantwort
Gemäss Rechtsprechung hat der hauptbetreuende Elternteil grundsätzlich ab dem Eintritt des jüngsten Kindes in den obligatorischen Schulunterricht einem 50%igen, mit dessen Übertritt in die Oberstufe einem 80%igen und ab dem vollendeten 16. Altersjahr dieses jüngsten Kindes einem 100%igen Arbeitspensum nachzugehen. Tut er dies nicht, wird ihm entsprechend ein hypothetisches Einkommen angerechnet. Ob und wie viel Unterhalt an einen Ehepartner und Kinder gezahlt werden muss, hängt von den Einkommens- und Bedarfsverhältnissen sowie vom gemeinsam gelebten Lebensstandard ab.
(MLaw Silvia Ferraro, Rechtsanwältin, Luzerner Zeitung)