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Meinungsverschiedenheiten in der Erbengemeinschaft

Zusammen mit meinen beiden Brüdern habe ich vor fünf Jahren ein Mehrfamilienhaus von unserem Vater geerbt. In letzter Zeit gab es immer wieder Meinungsverschiedenheiten. Nun will ich das Haus verkaufen, doch meine Brüder sind dagegen. Sie verfügen aber nicht über genügend finanzielle Mittel, um mich auszuzahlen. Was kann ich tun?

Durch den Tod Ihres Vaters besteht zwischen Ihnen und Ihren Brüdern von Gesetzes wegen eine Erbengemeinschaft. Die Erben haben eine gemeinsame Verfügungs-, Verwaltungs- und Vertretungsbefugnis über den Nachlass, wobei das Prinzip der Einstimmigkeit gilt. Wegen diesem Erfordernis der Einstimmigkeit können Unstimmigkeiten unter den Erben zu einer Handlungsunfähigkeit der Erbengemeinschaft führen. Für diesen Fall sieht das Gesetz die Möglichkeit vor, einen Erbenvertreter einsetzen zu lassen. Jedem Erben steht es zu, die Einsetzung eines Erbenvertreters zu verlangen. Vorausgesetzt wird, dass ohne die Einsetzung eines Erbenvertreters eine Erhaltung und Verwaltung der Erbschaft unmöglich oder erheblich erschwert ist. Letzteres wird unter anderem bejaht, wenn die Erben untereinander stark zerstritten sind. Blosse Meinungsverschiedenheiten genügen für die Einsetzung eines Erbenvertreters aber noch nicht. Die Zerstrittenheit muss eine gewisse Intensität aufweisen.

Der Erbenvertreter ist aber nicht zuständig für die Erbteilung und dürfte daher in Ihrem Fall das Mehrfamilienhaus nur verwalten, nicht aber verkaufen. Wenn Sie die Veräusserung des Hauses gegen den Willen der anderen Erben durchsetzen wollen, bleibt Ihnen als einzige Möglichkeit, eine Erbteilungsklage beim zuständigen Gericht einzureichen. Jeder Erbe ist nämlich jederzeit berechtigt, eine Teilungsklage einzureichen, wobei der erste Schritt in diesem Prozess ein Schlichtungsgesuch an die Schlichtungsbehörde ist.

Mit der Erbteilungsklage wird die Vornahme der Teilung der Erbschaft unter den Erben und die Überführung des dem Erben zustehenden Erbteils in sein Privatvermögen verlangt. Grundsätzlich hat jeder Erbe den Anspruch, dass die Teilung in natura durchgeführt wird. Sofern Erbschaftsgegenstände aber einen Grossteil der Erbschaft ausmachen und nicht in einem «Los» (in der Grösse eines Erbteils) Platz haben und somit nicht in natura unter den einzelnen Erben verteilt werden können, kann die Veräusserung des entsprechenden Erbschaftsgegenstandes und die Verteilung des daraus entstehenden Erlöses verlangt werden. Die Veräusserung erfolgt dabei, falls Ihre Brüder mit einem freihändigen Verkauf nicht einverstanden wären, auf dem Weg der öffentlichen Versteigerung oder der Versteigerung unter den Erben. Letzteres wird vom Gericht aber höchstens dann angeordnet, wenn alle Erben über die finanziellen Mittel verfügen, um die Liegenschaft selber ersteigern zu können, was gemäss Ihren Angaben nicht der Fall ist. Sollten Sie sich daher mit Ihren Brüdern nicht auf einen freihändigen Verkauf einigen können, wird das Gericht voraussichtlich eine öffentliche Versteigerung anordnen.

Kurzantwort
Können die Erben sich über die Erbteilung nicht einigen, so steht es jedem Erben jederzeit frei, die Teilung der Erbschaft mit Teilungsklage beim Gericht zu verlangen. Übersteigt ein Erbschaftsgegenstand den Wert eines Loses, so ist der Gegenstand öffentlich oder unter den Erben zu versteigern und der Erlös zu teilen, falls die Erben sich nicht auf einen freihändigen Verkauf einigen können.

(lic. iur. Marcel Vetsch, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt SAV Erbrecht und Fachanwalt SAV Familienrecht, Luzerner Zeitung)