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Erbrechtliche Ausgleichungspflicht von Schenkungen an Kinder

Mein verstorbener Vater hat mir vor 30 Jahren eine Liegenschaft geschenkt. Im Schenkungsvertrag wurde festgehalten, dass ich von der Ausgleichungspflicht entlassen bin. In seinem späteren Testament hielt er aber fest, dass diese Schenkung an meinen Erbteil angerechnet wird und der Ausgleichung unterliegt. Muss ich mir diese Schenkung nun in der Erbteilung anrechnen lassen?

B.C.

Jede handlungsfähige Person kann zu Lebzeiten frei über ihr Vermögen verfügen. Somit steht es ihr jederzeit offen, Schenkungen und Erbvorbezüge auszurichten. Insbesondere umfangreichere Schenkungen können allerdings beim Tod des Schenkers zu Konsequenzen für die Erbteilung führen. Zuwendungen des Erblassers an seine gesetzlichen Erben (insbesondere an die Nachkommen und an den Ehepartner) müssen nämlich dann zur Ausgleichung gebracht werden, wenn der Erblasser die lebzeitige Zuwendung explizit in Anrechnung an den Erbteil ausgerichtet hat. Bei Zuwendungen an gesetzliche Erben ohne solche explizite Anordnung wird der begünstigte gesetzliche Erbe grundsätzlich nicht zur Ausgleichung verpflichtet. Für Zuwendungen an die Nachkommen sieht das Gesetz aber eine Spezialregel vor: Diese sind nämlich für gewisse lebzeitige Zuwendungen von Gesetzes wegen zur Ausgleichung verpflichtet – also auch ohne explizite Anordnung des Schenkers. So müssen die Nachkommen Zuwendungen, welche sie beispielsweise als Heiratsgut, zur Ausstattung oder durch Vermögensabtretung vom Erblasser erhalten haben, immer dann zur Ausgleichung bringen, wenn der Erblasser nicht ausdrücklich eine Befreiung von der Ausgleichspflicht verfügte.

Als Tochter des Erblassers unterliegen Sie für die lebzeitige Zuwendung der Liegenschaft somit grundsätzlich der Ausgleichungspflicht auch ohne explizite Ausgleichsanordnung Ihres Vaters. Allerdings hat Ihr Vater Sie im Schenkungsvertrag ausdrücklich von der Ausgleichungspflicht entbunden. Mit Abschluss des Schenkungsvertrages ging Ihr Vater eine vertragliche Bindung mit Ihnen ein, welche nur im gegenseitigen Einverständnis wieder aufgehoben werden kann. Das bedeutet, dass ein einseitiger Widerruf im Testament Ihres Vaters ungültig ist und nicht dazu führt, dass die unentgeltliche Zuwendung der Liegenschaft nun doch ausgeglichen werden muss. Falls der Ausgleichungsdispens aber nicht vertraglich erfolgt wäre, so hätte er vom Erblasser jederzeit einseitig, beispielsweise durch ein Testament, widerrufen werden können und die Schenkung hätte trotz früher erteiltem Ausgleichungsdispens zur Ausgleichung gebracht werden müssen.

Möglich ist allerdings, dass durch die Schenkung der Liegenschaft die Pflichtteile von anderen pflichtteilsgeschützten Erben verletzt wurden, weshalb die Schenkung der Herabsetzung unterliegen könnte. Je nach Höhe des Nachlasses und Umfang der Schenkung könnte es demnach zu einer Herabsetzung wegen Pflichtteilsverletzung kommen.

Kurzantwort
Lebzeitige Zuwendungen an Nachkommen unterliegen grundsätzlich der Ausgleichungspflicht, ausser der Erblasser entbindet den begünstigten Nachkommen ausdrücklich von der Ausgleichung. Hat der Erblasser den begünstigten Nachkommen vertraglich von der Ausgleichungspflicht entbunden, so kann er dies später testamentarisch nicht mehr einseitig ändern.

(lic. iur. Marcel Vetsch, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt SAV Erbrecht und Fachanwalt SAV Familienrecht, Luzerner Zeitung)