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Erbfolge bei Nachkommen und Teilungsvorschriften

Wir drei Kinder haben eine vorverstorbene Schwester. Sie hinterliess einen Ehemann und zwei Kinder. Unser Vater ist bereits verstorben, unsere Mutter lebt noch. Würden die Kinder und der Ehemann der vorverstorbenen Schwester ebenfalls erben, falls unsere Mutter versterben würde? Und ist es möglich, zu bestimmen, wer welche Erbstücke im Erbfall erhalten soll, ohne dass es zu Streitigkeiten kommt?

Sofern Ihre Mutter weder einen Erbvertrag abgeschlossen noch ein Testament errichtet hat, richtet sich die Erbfolge nach dem Gesetz. Dieses sieht vor, dass die nächsten gesetzlichen Erben eines Erblassers dessen Nachkommen sind. Falls ein Nachkomme bereits vorverstorben ist, so treten dessen Nachkommen an seine Stelle. Alle Nachkommen erben dabei zu gleichen Teilen. Auf Ihren Fall bezogen würden Sie und Ihre beiden noch lebenden Geschwister je 1/4 des Nachlasses erben. Der übrigbleibende Viertel würde an die Kinder Ihrer verstorbenen Schwester gelangen. Somit erben diese je 1/8 des Nachlasses, während der Ehemann der verstorbenen Schwester nicht Erbe wird und dementsprechend auch keinen Anteil am Nachlass hat. Diese Erbfolge gilt aber nur dann, wenn Ihre Mutter zum Zeitpunkt ihres Versterbens nicht (wieder) verheiratet ist. Anderenfalls würde nämlich auch der Ehemann Ihrer Mutter Erbe in der Erbschaft sein und mit einem Anteil von 1/2 am gesamten Nachlass partizipieren. Die Erbteile aller Nachkommen würden sich diesfalls halbieren. Sie und Ihre drei Geschwister würden je einen Achtel und die beiden Kinder von Ihrer vorverstorbenen Schwester je einen Sechzehntel erben.

Die Mutter kann in einem Testament oder Erbvertrag die Erbanteile einzelner Erben ändern, wobei sie aber die Pflichtteile der Nachkommen zu beachten hat. Die Pflichtteile der Nachkommen betragen nach aktuellem Recht ¾ der gesetzlichen Erbanteile. Derzeit beträgt also Ihr Pflichtteil und derjenige Ihrer Geschwister je 3/16 und derjenige der Nachkommen Ihrer verstorbenen Schwester je 3/32. Nach dem revidierten Erbrecht, welches per 1. Januar 2023 in Kraft treten wird, werden die Pflichtteile der Nachkommen noch die Hälfte der gesetzlichen Erbanteile betragen. Die Mutter kann im Testament neben dieser Änderung der Erbanteile auch bestimmen, wer welche Gegenstände in Anrechnung an seinen Erbanteil oder ohne Anrechnung erhalten soll. Werden Gegenstände in Anrechnung an den Erbanteil zugewiesen, so handelt es sich um Teilungsvorschriften, werden die Gegenstände hingegen ohne Anrechnung an den Erbanteil zugeteilt, so liegt ein Vorausvermächtnis vor. Wird im Testament nichts dazu gesagt, ob die Zuteilung in Anrechnung an den Erbanteil erfolgt oder nicht, so geht das Gesetz davon aus, dass es sich bloss um eine Teilungsvorschrift und nicht um ein Vorausvermächtnis handelt. Diese Teilungsvorschriften und Vorausvermächtnisse sind für die Erben verbindlich, es kann sich also in der Erbteilung jeder Erbe darauf berufen. Vorbehalten bleiben bei den Vorausvermächtnissen aber in jedem Fall die Pflichtteile. Sofern sich alle Erben einig sind, können sie in der Erbteilung auch von den Teilungsvorschriften abweichen.

Kurzantwort
Alle Nachkommen erben zu gleichen Teilen und an die Stelle vorverstorbener Kinder treten deren Nachkommen. Der Erblasser hat die Möglichkeit, in einem Testament oder Erbvertrag Teilungsvorschriften und Vorausvermächtnisse festzulegen und damit bestimmte Vermögenswerte einzelnen Erben in Anrechnung an deren Erbanteil oder ohne Anrechnung zuzuweisen. Bei den Vorausvermächtnissen sind aber die Pflichtteile zu beachten.

(lic. iur. Marcel Vetsch, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt SAV Erbrecht und Fachanwalt SAV Familienrecht, Luzerner Zeitung)