Der Gemeindepräsident blockiert die Erbschaft
Meine Schwester und ich sind die einzigen Erben unseres verstorbenen Bruders. Er hinterliess ein Haus und eine Briefmarken- und Münzsammlung. Der Gemeindepräsident, welcher im Kanton Solothurn offenbar auch Teilungsbehörde ist, hat das Haus versiegeln lassen, ohne dass wir es vorher besichtigen konnten. Er hat auch einen Schätzer beauftragt, um die Briefmarken- und Münzsammlung zu schätzen. Dieser hat die Sammlung aus dem Haus geholt, ohne uns zu informieren. Wir Erben sind uns einig, dass wir das Haus und die Sammlung verkaufen wollen. Wir hätten auch gerne einen eigenen Schätzer beauftragt. Der Garten ums Haus verwildert zunehmend und wir fürchten, dass das geschlossene Haus vergammelt und an Wert verliert. Sind wir dem Gemeindepräsidenten rechtlos ausgeliefert? Wir können wir uns wehren?
L.K.
Zunächst gehe ich auf die Aufgaben der Behörden bei Erbfällen ein.
Aufgaben der Behörde
Die zuständige Behörde hat von Amtes wegen die zur Sicherung des Erbganges nötigen Massnahmen zu treffen, wozu auch die Siegelung in denjenigen Fällen gehört, für die das kantonale Recht sie vorsieht. In Ihrem Fall sind die Verfahrensvorschriften des Kantons Solothurn anwendbar. Nach diesen Vorschriften muss nach jedem Todesfall ein Inventar aufgenommen werden, wenn der Verstorbene Vermögen hinterlassen hat. Der Gemeindepräsident hat dabei zu prüfen, ob die Siegelung der Nachlassgegenstände erforderlich ist oder nicht.
Versiegelte Gegenstände sind bis zur Aufnahme des Inventars durch den Gemeindepräsidenten unter Siegel zu belassen. Das Inventar ist innert 30 Tagen nach dem Tod des Erblassers aufzunehmen. Die Erben sind rechtzeitig und mit Formular zur Inventaraufnahme einzuladen. Der Gemeindepräsident hat alle Gegenstände einzeln zum Verkehrswert zu schätzen und kann zur Schätzung Sachverständige beiziehen.
Handlungen und Versäumnisse des Gemeindepräsidenten
In Ihrem Fall war der Gemeindepräsident berechtigt und auch verpflichtet, ein Inventar aufzunehmen. Dass er die Briefmarken- und Münzsammlung einem Schätzer zur Schätzung in Auftrag gegeben hat, war gemäss diesen gesetzlichen Vorgaben ebenfalls rechtens. Nicht korrekt war hingegen, dass er Sie zur Inventaraufnahme nicht eingeladen hat. Unverhältnismässig war in Ihrem Fall auch die Siegelung der Erbschaft, da – jedenfalls gemäss Ihren Angaben – kein Fall vorlag, für welchen das Gesetz die Siegelung vorsieht (wie Streitigkeit des Erbrechts, unbekannte oder dauernd abwesende Erben etc.).
Wenn der Gemeindepräsident seine Aufgaben nachlässig oder gar nicht ausführt, so kann im Kanton Solothurn der Regierungsrat diese Aufgaben dem Amtschreiber oder einem Notar übertragen. Die Kosten für die Arbeit des Amtschreibers oder des Notars trägt diesfalls der Gemeindepräsident. Die Amtschreibereien und die übrigen beteiligten Behörden und Amtsstellen sind verpflichtet, dem Regierungsrat von den festgestellten Versäumnissen eines Gemeindepräsidenten Kenntnis zu geben. Die Tätigkeit des Amtschreibers im Erbgangsverfahren unterliegt ihrerseits der Aufsicht des Obergerichtes des Kantons Solothurn.
Rechte der Erben
Da die Siegelung in Ihrem Fall wohl unverhältnismässig war und zudem die 30-tägige Frist für die Inventaraufnahme längst abgelaufen ist, können Sie beim Gemeindepräsidenten die sofortige Entsiegelung des Hauses verlangen bzw. im Verweigerungsfall eine Pflichtverletzung beim Regierungsrat geltend machen. Nach der Entsiegelung können Sie sich um das Haus kümmern. Sollten im Fall der Pflichtverletzung durch den Gemeindepräsidenten Schäden am Haus entstanden sein, so können Sie allfällige Ansprüche aus Verantwortlichkeit/Staatshaftung prüfen.
Die Erbteilung ist dann Sache der Erben, wobei im Kanton Solothurn, im Gegensatz zu den meisten anderen Kantonen, eine Teilungsverhandlung vor einer Behörde, nämlich dem Amtschreiber, obligatorisch vorgeschrieben ist.
Kurzantwort
Die zuständige Teilungsbehörde darf im Erbfall die im Gesetz vorgesehenen Sicherungsmassnahmen treffen. Sie muss aber die Erben in das Verfahren einbeziehen und die Nachlassgegenstände den Erben zur Teilung freigeben, wenn die Sicherungsmassnahmen nicht mehr erforderlich sind. Die Erbteilung ist Sache der Erben und nicht der Behörde.
(lic. iur. Marcel Vetsch, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt SAV Erbrecht und Fachanwalt SAV Familienrecht, Luzerner Zeitung)