Begünstigung von Enkeln
Ich (verwitwet) habe ein getrübtes Verhältnis zu meinem Sohn. Mit meinen Enkeln verstehe ich mich aber bestens. Kann ich meinen Sohn beim Erben übergehen und direkt die Enkel als Erben einsetzen? Kann ich das in meinem Testament festlegen oder gäbe es einen anderen Weg?
Ihr Sohn ist ein pflichtteilsgeschützter Erbe. Seit dem 1. Januar 2023 beträgt der Pflichtteil von Nachkommen nur noch die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs. Sofern Sie Ihren Sohn in Ihrem Testament vollständig übergehen, hat er die Möglichkeit, das Testament aufgrund der Pflichtteilsverletzung erfolgreich anzufechten. Wenn Ihr Sohn das Testament nicht innert der gesetzlichen Frist von einem Jahr anficht, ist dieses gültig, selbst wenn es den Pflichtteil Ihres Sohnes verletzt. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass Ihr Sohn das Testament bei vollständiger Übergehung anfechten wird.
Um Ihren Sohn vollständig zu übergehen, müssten Sie ihm den Pflichtteil entziehen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn ein Enterbungsgrund vorliegt. Demnach wären Sie befugt, durch Verfügung von Todes wegen einem Erben den Pflichtteil zu entziehen, wenn der Erbe, sprich Ihr Sohn, gegen Sie oder gegen eine Ihnen nahe verbundene Person eine schwere Straftat begangen hat oder wenn er gegenüber Ihnen oder einem Ihrer Angehörigen die ihm obliegenden familienrechtlichen Pflichten schwer verletzt hat. Diese Enterbung wäre nur dann gültig, wenn Sie den Enterbungsgrund in Ihrem Testament angeben. Dabei sind die konkreten Tatsachen anzugeben, die eine schwere Straftat oder eine schwere Verletzung familienrechtlicher Pflichten aufzeigen. Eine blosse Wiedergabe der gesetzlichen Enterbungsgründe genügt nicht. Sofern keiner dieser Enterbungsgründe vorliegt, können Sie Ihrem Sohn den Pflichtteil nicht entziehen und damit nur bis zum Pflichtteil Ihres Sohnes frei über Ihr Vermögen verfügen. Sie könnten demnach Ihren Sohn mittels Testaments auf den Pflichtteil setzen und für die frei verfügbare Quote von 50% Ihre Enkel als Erben einsetzen. Alternativ könnten Sie auch Ihre Enkel als Alleinerben einsetzen und Ihrem Sohn lediglich ein Vermächtnis in der betraglichen Höhe seines Pflichtteils zuwenden. Ihr Sohn hätte diesfalls kein Mitspracherecht bei der Erbteilung und würde lediglich ein Vermächtnis in Bar in Höhe seines Pflichtteils erhalten. Zudem könnten Sie auch zu Lebzeiten Schenkungen an die Enkel ausrichten. Würden diese Schenkungen allerdings betragsmässig bedeutend sein, so würden sie für die Berechnung des Pflichtteils aufgerechnet, sofern der Sohn später die Schenkungen beweisen könnte.
Neben der Möglichkeit eines Testaments wäre schliesslich auch denkbar, dass Ihr Sohn im Rahmen eines Erbvertrags zugunsten seiner Kinder auf seinen Erbanspruch inklusive seinem Pflichtteil verzichtet, dies gegen eine Abfindung (sog. Erbauskauf). Unentgeltlich wird er aufgrund Ihrer Angaben wohl kaum freiwillig verzichten. Dies erfordert jedoch die Mitwirkung Ihres Sohnes.
Kurzantwort:
Die Kinder können zu Gunsten der Enkel nur dann im Testament vollständig als Erben übergangen werden, wenn ein Enterbungsgrund vorliegt. Ist kein Enterbungsgrund gegeben, dann ist der Pflichtteil der Kinder zu beachten und den Enkeln kann nur die frei verfügbare Quote von 50% zugewendet werden.
(lic. iur. Marcel Vetsch, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt SAV Erbrecht und Fachanwalt SAV Familienrecht, Luzerner Zeitung)