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Ausgleichungspflicht bei Übertragung des Hauses an den Sohn

Ich habe vier Kinder, mein Mann ist bereits verstorben. Praktisch mein ganzes Vermögen steckt in meinem Einfamilienhaus. Meine drei Töchter haben ein eigenes Haus, mein Sohn möchte gerne das Elternhaus übernehmen, hat aber die nötigen Mittel dazu nicht. Was kann ich tun, damit das Haus nach meinem Ableben in der Familie bleibt?

Sie können entweder bereits jetzt aktiv werden und die Liegenschaft zu Lebzeiten übertragen oder Ihren Nachlass mit Testament letztwillig regeln. Da Ihr Sohn nicht über die Mittel verfügt, um die Liegenschaft zum Verkehrswert (Marktwert) zu übernehmen, können Sie ihm diese zu einem Vorzugspreis übertragen. Die Differenz zwischen dem Vorzugskaufpreis und dem Verkehrswert bildet der Schenkungsanteil. Ihr Sohn hat dann später in der Erbteilung Ihres Nachlasses diesen Schenkungsanteil gegenüber seinen Schwestern zur Ausgleichung zu bringen. Falls der Wert der Liegenschaft zwischen dem Zeitpunkt der Eigentumsübertragung und dem Todesfall steigt, dann nimmt auch der zur Ausgleichung zu bringende Schenkungsanteil anteilsmässig an der Wertsteigerung teil.

Falls Sie die Liegenschaft zwar Ihrem Sohn zu Eigentum übertragen, aber noch weiterhin darin wohnen möchten, können Sie die Eigentumsübertragung gegen Einräumung einer lebenslänglichen Nutzniessung oder eines lebenslänglichen Wohnrechts vereinbaren. Dabei ist die Frage, ob der kapitalisierte Wert der Nutzniessung bzw. des Wohnrechts als Gegenleistung des Beschenkten anzurechnen ist oder nicht, in Lehre und Rechtsprechung umstritten.

Verfügt Ihr Sohn über kein Vermögen, aber doch immerhin über ein Einkommen, dann dürfte eine Teilzahlung des Kaufpreises durch Finanzierung über eine Hypothek bei der Bank möglich sein. Der Schenkungsanteil an der Liegenschaft bildet aus Sicht der Bank Eigenkapital des Schuldners. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass Sie Ihrem Sohn für einen Teil des Kaufpreises ein Verkäuferdarlehen gewähren. Seine Darlehensschuld würde dann später gegenüber dem Nachlass noch bestehen, soweit das Darlehen noch nicht zurückbezahlt worden ist.

Falls die Gefahr besteht, dass Ihr Sohn die Liegenschaft verkaufen müsste, um die Ausgleichungsansprüche der Schwestern auszahlen zu können, können Sie Ihren Sohn im Kaufvertrag ausdrücklich von der Ausgleichungspflicht befreien. Dies ist zulässig, soweit der Pflichtteil der Schwestern nicht verletzt wird. Der Pflichtteil beträgt nach dem revidierten Erbrecht seit dem 1.1.2023 noch die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Der gesetzliche Erbteil der Schwestern beträgt insgesamt ¾, ihr Pflichtteil also 3/8. Befreien Sie Ihren Sohn von der Ausgleichungspflicht, dann erhöhen Sie die Chancen deutlich, dass er die Liegenschaft auch nach Ihrem Tod halten kann. Allerdings werden damit die Töchter erbrechtlich erheblich benachteiligt. Letztlich müssen Sie abwägen, was Ihnen wichtiger ist, die Gleichbehandlung Ihrer Kinder oder die Sicherung der Liegenschaft für den Sohn.

Kurzantwort:

Wird eine Liegenschaft zu Lebzeiten einem Nachkommen zu einem Vorzugspreis übertragen, so stehen den anderen Nachkommen im Todesfall erbrechtliche Ausgleichungsansprüche zu. Der Schenker kann den Beschenkten zwar von dieser Ausgleichungspflicht befreien, er benachteiligt damit aber die anderen Nachkommen erheblich; den anderen Nachkommen stehen in jedem Fall ihre Pflichtteile zu.

(lic. iur. Marcel Vetsch, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt SAV Erbrecht und Fachanwalt SAV Familienrecht, Luzerner Zeitung)